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Ein Plädoyer für mehr Dankbarkeit und Wertschätzung

In Zeiten von Corona kommt es auf eine starke Gesellschaft an, die zusammenhält und einander hilft. Auf der einen Seite haben wir diese Solidarität bereits: Initiativen wie die Nachbarschaftshilfen, bei denen - allen voran junge - Leute für Ihre älteren Mitmenschen einkaufen gehen, um sie somit als Risikogruppe besser vor dem Virus zu schützen ; oder die,,Support your locals" um die Existenz von lokalen Buchläden und Restaurants weiterhin zusichern, sind wunderbare Beispiele, die zeigen wie wir die Krise nutzen können, um als Gesellschaft stärker zusammenzuwachsen. Doch, so positiv und lobenswert solche Initiativen auch sind, auf der anderen Seite sehe ich leider recht wenig Solidarität in unserer Gesellschaft: Es werden über Wochen hinweg Hamsterkäufe getätigt bis nichts mehr da ist, sich um Toilettenpapier gestritten und angeschrien, und nicht zuletzt werden diejenigen angepöbelt, die dafür rein gar nichts können.

 

Ich spreche von den Mitarbeiter*innen in den Supermärkten. Denn neben den Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen und Sanitäter*innen gehören auch sie zu unseren Held*innen in der Krise. In den vergangenen Tagen hatte ich eine besondere Begegnung mit einer dieser Held*innen, die mir sehr lange im Kopf geblieben ist und die ich gerne mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, teilen möchte. Eine gute Freundin von mir (dessen Namen nicht erwähnt werden will), arbeitet in einem Supermarkt. Als ich mich vor ein paar Tagen mit Schokolade an die Kasse im Supermarkt stellte, nahm ich wahr, dass ja meine (obengenannte) Freundin hinter der Kasse sitzt. Daraufhin kam bei mir die Vorfreude auf gleich -wenn auch nur kurz - ein paar Worte mit ihr wechseln zu können. Allerdings bemerkte ich bereits aus der Ferne, wie gestresst sie wirkte. Wir beide kennen uns seit Jahren, sie ist eine meiner engsten Freundinnen, und ich habe sie noch nie so gestresst, müde und traurig zugleich gesehen. Normalerweise lacht sie sehr viel, vor allem bei der Arbeit, die ihr viel Spaß macht. Als ich dran war, grüßte ich sie ganz normal und fragte sie wie es ihr geht. Während des Einscannens meiner Schokolade, schaute sie kurz mal nach oben zu mir und antwortete auf meine Nachfrage mit ,,Ganz okay". Ab diesem Moment habe ich nicht mehr weitergefragt, da ich bemerkte, dass sie den Tränen nahe war.

 

Kurz nachdem ich den Supermarkt verließ, habe ich ihr noch schnell eine Nachricht per WhatsApp geschrieben und gefragt wie es ihr wirklich geht. Gegen 20 Uhr Abends kam dann die Antwort: Es geht ihr schlecht. Sehr, sehr schlecht. Sie habe sich noch nie so gedemütigt, noch nie so gestresst und so schlecht behandelt gefühlt. Es seien nicht ihre Kolleg*innen und auch nicht der Chef, an denen es liegt. Es seien wir, die Kund*innen. Wir, die Kund*innen, würden sie anschreien, weil sie uns darauf verweist, dass wir nicht mehr als2 Sachen von einem Produkt kaufen dürfen. Verständlich, denn wenn jeder der Meinung ist, hamstern zu müssen bis nichts mehr da ist, müssen die Supermärkte dagegen vorgehen, um jedem Menschen die Grundversorgung an Lebensmitteln, usw. zu gewährleisten. Doch dafür haben die meisten kein Verständnis. Wir pöbeln weiter und geben meiner Freundin und ihren Kolleg*innen die Schuld für alles. Obendrein beschweren wir uns noch, dass sie zu langsam an der Kasse sei und nicht rechnen könne. Und abgesehen davon hat sie - wie jeder andere Mensch auch - Probleme im privaten Leben, die sie beschäftigen. Dann noch bei der Arbeit von denen so schlecht behandelt zu werden, für die sie vollen Einsatz zeigt? Das gab ihr den Rest!

 

WIR gaben ihr den Rest. Das hat auch mir das Herz gebrochen, da ich sie als eine strahlende, lachende und fröhliche Person kenne, der ich von ganzem Herzen nur das Beste wünsche. Und ich habe mich geschämt, auch, wenn ich behaupte nicht zu denen zu gehören, die pöbeln oder andere schlecht machen. Aber dennoch spreche ich von einem kollektiven WIR, da wir uns noch nicht einmal annähernd in die Situation eine*r Mitarbeiter*in im Supermarkt hineinversetzen. Wir sehen nur Menschen, die in dieser schweren Zeit ihre Arbeit machen. Aber durch was für eine Hölle sie dabei gehen, zudem auch mit der erhöhten Gefahr sich selbst mit dem Virus zu infizieren, das sehen wir nicht. Oder besser gesagt: Wir wollen es nicht sehen. Wir wollen nicht hinter die Fassadeschauen. Wir wollen nicht einsehen, dass unser Verhalten an Respektlosigkeit nicht zu überbieten ist. Wir wollen nicht einfach mal nett sein und höflich anstatt ,,Sie können ja nicht mal rechnen" einmal ,,Danke, dass Ihr für uns da seid" aussprechen. Wir wollen uns viel zu oft nicht einmischen, wenn wir sehen wie unsere Held*innen von anderen beschimpft werden, weil wir es uns lieber gemütlich machen und daran vorbeilaufen. Geht uns ja schließlich nichts an, oder? Aber falsch gedacht. Es geht uns alle etwas an.

 

Corona stresst uns, stellt unsere Psyche auf eine ganz neue Probe und isoliert uns von unseren Mitmenschen. Doch, ich möchte hier einen dringenden Appell aussprechen: Seid euch dessen bewusst, dass nicht ein Virus uns isoliert, sondern allein wir uns selbst. Das heißt nicht körperlich, sondern im Herzen. Anstatt zusammenzuhalten und uns gegenseitig Wertschätzung zukommen zu lassen, streiten wir. Anstatt Menschlichkeit zu zeigen und zuteilen, was wir alle benötigen, verhalten wir uns egoistisch und verständnislos. Anstatt uns jetzt Gedanken darüber zu machen, wie die Gesellschaft weiterlaufen kann und wie wir unseren Teil dazu beitragen können, schimpfen wir auf andere und fordern gleichzeitig von ihnen etwas zu tun, während wir unsere Verantwortung abschieben. Und darunter leiden diejenigen, die gerade an ihre Grenzen kommen. Ich möchte einen sehr, sehr großen Dank an alle Menschen aussprechen, die in Zeiten wie diesen unsere Gesellschaft zusammenhalten.

 

An alle die, die mehr als nur ein Klatschen auf den Balkonen verdient haben. Und auch an alle, an deren Einsatz viel zu wenig gedacht und gedankt wird. Auch meiner Freundin und ihren Kolleg*innen im Supermarkt möchte ich meinen größten Respekt, für das was ihr stemmt und mitmacht, aussprechen. Und last but not least, liebe Leserinnen und Leser, möchte ich Sie bitten verständnisvoller und rücksichtsvoller mit Ihren Mitmenschen umzugehen. Wie Helmut Schmidt bereits einst sagte ,,In der Krise beweists ich der Charakter." Also, beweisen Sie auch Ihren Charakter. Sprechen Sie gezielt den Held*innen dieser Zeit gegenüber Ihren Dank aus, seien Siehöflich und urteilen Sie nicht so voreilig. Unsere Gesellschaft darf nicht zusammenbrechen, nicht hier, nicht jetzt und auch nicht morgen. Und Sie können Ihren Teil dazu beitragen. Ich zähle auf Sie.

Hibba Kauser

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